«Die Vorstellung eines Wachstumszwangs ist absurd»
Interview mit Anja Peter und Roman Rossfeld in der BZ
Anja Peter (rechts) und Roman Rossfeld. Bild: Franziska Rothenbühler.
Riesige Abfallberge, fortschreitender Klimawandel, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse: Die Schattenseiten des ungebremsten Konsums zeigen sich deutlich. Trotzdem gibt es insgesamt wenig Widerstand. Warum? Das beleuchtet der Berner Wirtschaftshistoriker Roman Rossfeld im neuen Buch «Mehr! Wirtschaftswachstum und Wachstumskritik in der Schweiz seit 1945». Auch aus feministischer Perspektive verursacht unser Lebensstil Folgekosten. Die Historikerin Anja Peter erklärt in ihrem Beitrag zum Buch, was aus Frauensicht schiefläuft:
«Was ermöglicht überhaupt Wachstum? Wer trägt zum Wohlstand bei? Woran wird er gemessen und was bleibt dabei unsichtbar? Der feministische Blick auf diese Fragen zeigt: Wachstum basiert wesentlich auf der Ausbeutung der Arbeitskraft von Frauen – sowohl durch schlecht bezahlte Arbeit, etwa in der Kinderbetreuung oder der Alterspflege, als auch durch Unmengen unbezahlter Arbeit in den Haushalten.»
Anja Peter macht deutlich, um welche Themen wir uns eigentlich kümmern müssten, wenn wir über Wohlstand sprechen – nämlich darum, dass Kinder gut betreut und ältere Menschen ein würdevolles Leben führen können. Um das zu gewährleisten braucht es Menschen, die diese Arbeit leisten. Und zwar unter guten Bedingungen. Auf den Punkt: «Es geht also nicht nur darum, wie wir mit den Schwächsten in unserer Gesellschaft umgehen, sondern auch darum, wie wir Sorgearbeit organisieren und absichern.»
Zu diesem Zweck müsste zumindest ein Teil der Haus- und Familienarbeit in den Haushalten bezahlt werden, so Peter. Denn während Frauen heute für ihren Lebensunterhalt sorgen sollen, ist die zentrale Frage ungelöst geblieben: wer die Kinder betreut oder Angehörige pflegt. «Es wird stillschweigend vorausgesetzt, dass die Zeit der Frauen unbegrenzt verfügbar ist. Dabei hat ein Tag nur 24 Stunden.»
Gleichzeitig hatte die zunehmende Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht die erhoffte Wirkung, Frauen zu ökonomischer Unabhängigkeit zu verhelfen. Sie war und ist vor allem notwendig, um das Wachstum zu sichern. «Die Interessen der neuen Frauenbewegung korrelierten hier mit der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsmodelle.»
Hier geht’s zum Interview von Mirjam Comtesse mit Anja Peter und Roman Rossfeld in der Berner Zeitung BZ vom 12. Juli 2025: «Die Vorstellung eines Wachstumszwangs ist absurd».

Aktuell im Büro für Feminismus
Von einer Schicht zur nächsten: Der Arbeitstag einer Mutter.
Simona Isler (links) und Anja Peter (rechts). Bild: Elia Aiano.Pflege im Spital, Betreuung zu Hause, Rechnungen, Schlafmangel, Sorge um die Altersvorsorge – ein Tag, der kein Ende nimmt. Der Text von Simona Isler und Anja Peter zeichnet den Alltag einer Mutter nach,...
Sorge tragen: Betreuung als Wirtschaftsfaktor
Betreuung, Unterstützung im Alltag und Pflege durch Angehörige ist wertvolle Arbeit für unsere Gesellschaft – und doch ist sie weitgehend unsichtbar und unbezahlt. Während betreuende Angehörige täglich enorme Leistungen erbringen, fehlt es an politischer und...
Einführung in die feministische Ökonomie
40 Jahre Gleichstellungspolitik: Zeit für eine Bilanz. Die Einkommenslücke der Frauen beträgt 100 Milliarden Franken im Jahr. Und ihre Renten sind rund 35 Prozent tiefer als jene der Männer. Ökonomische Unabhängigkeit ist für die allermeisten bis heute keine Realität geworden. Irgendwo sind wir falsch abgebogen…